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„Mein Andersopa“
– Geschichten erzählen ist zaubern mit Buchstaben –
Eine Lesung mit Rolf Barth an der Fichtelgebirge Grundschule, Berlin
Wenn der Berliner Autor Rolf Barth eine Schulklasse zur Lesung besucht, muss man sich das ungefähr so vorstellen:
Unkompliziert – bitte keinen besonderen Raum! Der Klassenraum ist genau richtig, wo die Kinder arbeiten. Nah an ihrem Alltag dran, in ihrem Umfeld, installiert er kurzerhand und auf kleinstem Raum eine mobile Zauberbühne mit geheimnisvollem Koffer und Zauberstab. Im Nu hat er eine Traube neugieriger Schülerinnen und Schüler um sich geschart und
zaubert sich warm. „Pille piff paff puff! Hui, wie kommt denn das Ei in dein Ohr? “ Doch der Herr Schreiberling, wie er sich vorstellt, zaubert nicht nur mit Dingen: Nur ein kleiner Buchstabe mehr und schon schmeckt es ganz anders und aus dem Ei wird ein leckeres Eis! Und da er auch mit Buchstaben zaubern kann, hat er eine Geschichte mitgebracht. Er hat die Aufmerksamkeit der Kinder erobert und bevor er in die Geschichte „Mein Andersopa“ einsteigt, versichert sich noch mal: „Habt ihr denn Ohren dabei?“ Allgemeine Zustimmung, die Lesung kann beginnen. Damit auch die Kinder, die weiter hinten sitzen, die Bilder der Illustratorin Daniela Bunge sehen können, zaubert er geschwind das Bilderbuch groß. Als Rolf Barth von der siebenjährigen Nele erzählt, die „zwei Opas in einer Person“ hat, gibt es sofort Meldungen: Was für ein Zufall, in der Klasse gibt es auch eine Nele und ein knappes Dutzend Kinder, die ebenfalls sieben Jahre alt sind. Barth kommuniziert mit
den Kindern, geht auf Beiträge ein, gleitet in enger Tuchfühlung mit der Stimmung der Klasse durch seine Geschichte, in der er von den Veränderung des Großvaters erzählt, der an Demenz erkrankt:
Aus dem feinen, sorgfältig gekleideten Herren, der backen und kochen kann, den Garten pflegt und seine Enkelin hütet, wird plötzlich ein seltsamer ungepflegter alter Mann, der unverständliche, verstörende Dinge tut, sogar den Namen seiner Tochter und Enkelin vergisst und nicht mehr für sich selbst sorgen kann. Aus der Sicht der Enkelin Nele zeigt Barth sensibel die Krisen auf, die die kleine Familie durch die Erkrankung und die tiefgreifenden Veränderungen erlebt. Die Gefühle reichen von Sorge und Trauer, den Herausforderungen, den Alltag zu meistern bis hin zur Akzeptanz und Wertschätzung der neuen, nicht immer einfachen Situation im Zusammenleben mit dem Großvater.
Barths Protagonistin nimmt sehr genau diese Veränderungen wahr, was ihre Liebe zum Großvater aber nicht trübt. Im Gegenteil, sie wird zu seiner Stütze und Verbündeten und kann sich auf den „Andersopa“ einlassen. Als er sie am Ende seine „Andersenkelin“ nennt, wird zweierlei deutlich: Nicht nur der Opa hat sich verändert, auch Nele hat neue Eigenschaften dazu gewonnen, ist ein Stück weit eine andere geworden.
Barth erzählt mit Gelassenheit, ohne großes Drama benennt er dennoch
schwerwiegende Dinge. Durch Liebe, Geduld und Akzeptanz zeigen sich allmählich Lösungswege zu einer neuen Form des Zusammenlebens, die die Erkrankung des Opas integriert. So wie es seiner Protagonistin Nele gelingt, durch eine Geschichte ihrem Opa eines seiner verschlossenen „Kopf-Gemächer“ zu öffnen, also eine Erinnerung wieder wachzurufen, gelingt es Rolf Barth bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern ein neues
„Kopf-Gemach“, einen neuen Denkraum zu öffnen. Diese positive, optimistische Haltung wird durch die heiteren und zum Teil humorvollen
Bilder von Daniela Bunge unterstrichen. Sie betont nochmal zusätzlich die Kraft kindlicher Kreativität und unkonventioneller Problemlösungsstrategien. Am Ende der Geschichte gibt es großen Applaus und reichlich Gesprächsbedarf. Die Kinder stellen Fragen, erzählen von sich und ihren Großeltern und wünschen sich zum
Abschied noch ein bisschen Zauberei und eine Prise aus dem speziellen
Traumzaubersalzstreuer von Rolf Barth. Rolf Barth: Mein Andersopa. Hanser Verlag, München 2018.
Bojka Bogdanovi
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